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Kurzgeschichte

Kurzgeschichte von Fariba Wafi

Wenn ich ihm ganz ausgeliefert bin, denke ich an mein Geheimnis. Es beruhigt mich, wenn ich an mein Geheimnis denke. In solchen Situationen werde ich wie ein Mann, der an seinen heimlichen Schatz denkt und sich sicher fühlt. Wie eine schwangere Frau trage ich mein Geheimnis überall mit mir hin. Mit großer Sorgfalt kümmere ich mich um mein Geheimnis und manchmal schenke ich ihm ein heimliches Lächeln.

Er möchte den Grund meines Lächelns wissen. Überhaupt möchte er immer den Grund für alles wissen. Ich habe einen ganz bestimmten, zufriedenstellenden Tonfall entdeckt. Ein direkter und vollständiger Satz stellt ihn zufrieden. Ich achte darauf, dass meine Antwort weder zweideutig noch diffus ist.

Er hat kein Inneres. Er ist ein unkomplizierter Mensch, und genau deshalb stellt ihn Offenheit und Aufrichtigkeit zufrieden und macht ihn sogar glücklich. Ich habe das Vergnügen ein Geheimnis zu hüten nach zehn Jahren gemeinsamen Lebens für mich entdeckt. Wenn man alle Sachen teilt, bringt es ein ganz eigenes Vergnügen, wenn eine Sache mal privat ist.

Wir steigen mit ihm in den Bus. Der Bus ist voll. Wir stehen einander gegenüber. Zwischen uns beiden Menschen ist nichts, außer der Stange in der Mitte des Busses und dem Geheimnis, das schöner wird, wann immer ich es betrachte. Die Stange sieht er, aber mein Geheimnis kann er nicht sehen. Oder kaputt machen. Er kann es mir nicht nehmen und er kann es mir nicht madig machen. Ich drücke es an mich und gehe durch die Menschenmenge. Wir steigen aus dem Bus und laufen nebeneinander her.

Er liebt es, spazieren zu gehen. Um mich auch dazu zu motivieren, spricht er jeden Tag von meinem großen, hässlichen Bauch und eines Tages kauft er mir ein Paar weiße Turnschuhe. Ich ziehe die Schuhe an und laufe neben ihm her. Er spricht. Ich höre zu. Er nimmt meine Hand in seine und drückt sie liebevoll. Wie junge Eheleute ohne Sorgen schlendern wir durch die Straßen und kehren zurück nach Hause.

Nach zwei Tagen geht er. Ich bleibe mit meinem Geheimnis alleine. Ich betrachte es genau. Mein Geheimnis hat eine dunkel dröhnende Stimme und nimmt den Menschen die Angst.

Ich weiß nicht, was passiert. Ich strebe nicht mehr danach, mit meinem Geheimnis alleine zu sein. Ihm gegenüberstehen bringt mir keine Freude mehr. Ich möchte, dass wir Abstand voneinander gewinnen. Ich bin nicht mehr darauf angewiesen. Mir scheint, dass einfache Frauen, die niemals auf ihr Inneres starren, mehr Anstand haben.

Ich habe erlebt, dass mein Geheimnis seine Schönheit wiederfindet. Wenn er wiederkommt, liebt er mich so sehr, dass er möchte, dass wir wie eine Seele in zwei Herzen sind. Dass wir gleich denken, gleich lieben und gleich leben.

Vielleicht wirke ich verschlagen. Weil ich nicht mehr weine und heimlich, aber voller Spannung nach Hause zurückkehre, mein Geheimnis raussuche und es in den Arm nehme. Nur in solchen Momenten finde ich, dass ich ihm in nichts nachstehe und mache mit großer Kaltblütigkeit bei seinen langen Spaziergängen mit.

(aus dem Persischen übertragen von Floris Remmert)

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